Test: Tide 36 (2025)
Im Spätsommer 2025 haben wir die „Tide 36“ auf zwei Törns, zunächst von Emden nach Lelystad und dann noch einmal von Lelystad nach Borkum ausprobiert.

Einen detaillierten Überblick über die technischen Eigenschaften der Tide gibt es hier: https://www.mfh-emden.de/de/innovativer-yachtbau/tide-36.html. Der kurze Überblick:
LOA: 10,70; LWL; 10,70; Breite: 3,02; Verdrängung: 3800Kg; Ballast: 1200Kg; Tiefgang: 1,90
Was wird hier nicht behandelt:
- Auslassungen über das Design/ „Lichtdesign“
- Kritiken über die Innenausstattungen, Polster und so
- Den Pantrybereich mit all den üblichen langweiligen Facetten
- Die fehlende Heckkabine und deren Stehhöhe, Breite, Nutzbarkeit und das Palaver darum
- Filmchen oder Bilder. Sie vermitteln oft so einen persönlichen Eindruck des Verfassers der auf den Betrachter übergreifen soll. Eigentlich gut, wird das hier mal weggelassen.
Wir konnten die 36 bei zwei Überführungen segeln, die unterschiedlichste Bedingungen bereithielten.
Wie segelt sie denn nun?
1. Teil: Von Emden nach Lelystad
Die Tide macht ja schon einen schicken, vielversprechenden Eindruck. Sogar auch für maritime Kleingärtner, die beim zweiten Hinsehen gedanklich bereits die Japansäge und den Kleber in der Hand haben um dies und jenes zu verändern (der gemeine maritime Kleingärtner glaubt immer an “Verbessern”).
Segeln beginnt in der Regel mit dem Setzen des Großsegels und so auch in diesem Fall. Morgens um 06:00 Uhr im dunklen Emder Aussenhafen die Tide per gut gelauntem Motor in den Wind geschoben und das Fall mit Hilfe der entsprechenden Winsch auf dem Kajütdach unter der Sprayhood gequält: Könnte etwas einfacher sein, könnte aber auch noch schlimmer kommen. Mit dem Ebbstrom Richtung Delfzijl am Geisedamm entlang bei komplett ausgerollter Genua: Läuft. Das Boot zickt nicht, liegt sehr gut auf dem Ruder und macht was es soll. Das erzeugt Spaß. Der Speed ist ok, die Bedingungen werden im Verlauf des Morgens sonniger und der Speed noch besser. Höhe Borkum frischt es dann auf ca. 5 Bft aus NW auf. Also wird gerefft obwohl es die Krängung alleine noch nicht erzwingen würde. Mit verringerter Stellfläche liegt das Boot sehr schön auf dem Ruder und insgesamt noch besser, da schneller. Vor Borkum links abbiegen nicht vergessen und eine etwa gleich große Grinde wird überholt. Diese muss aufgrund ihres ungleich höheren Ballastanteils noch nichts am Segelkleid tun und ist gut in Fahrt. Dann vor den holländischen Inseln kann man im Heckwasser sehen das sie doch die Fläche des Antriebs verringern und wandern schnell Achteraus. So wünschen sich das alternde Regattasegler. Es stellt sich ein etwas vorlicher als halber Wind ein und der gelegentliche Blick auf die Logge bewirkt ein Lächeln der Besatzung. Sicher und recht schnell, so soll es sein.

Vor Terschelling, rechtzeitig zur Dämmerung brist es auf, also weiter Segelfläche wegreffen. Kurz vor dem weiteren Einbiegen in die Einfahrt Terschelling löst dann schliesslich die Dieselfock die weissen Tücher ab um den Untiefen besser oder besser nicht entgegenzutreten. Der Antrieb ist ohne jeglichen Tadel, so anders und kräftig als die für uns üblichen fusseligen Aussenborder. Da es nun auch endlich ganz dunkel ist brist es auf in Böen 30Kn auf und übler Regen nervt. Das Boot fährt sicher und macht was es soll, in Anbetracht der Untiefen und der elektronischen Seekarte, die den benötigten Kartenausschnitt nicht mehr anzeigen mag.
So wird auf einmal, unter den denkbar ungünstigstenBedingungen, die Navigation auf den Stand von 1985 gebracht. Schön, abenteuerlich und spannend ist das nicht.
Harlingen wird des Nachts erreicht. Des Morgens gegen den Gezeitenstrom weiter den Diesel gequält und bei Korweddersand die Schleuse genommen, beweist die Tide erneut was sie an Segelspaß zu vermitteln mag. Dieses Mal auf dem Ijsselmeer.
Bestes Wetter, perfekte Bedingungen und eigentlich alle mitlaufenden anderen Segelboote wandern achteraus.
Lelystadt ist schnell erreicht und hat auch sonst nichts zu bieten außer einer schönen Straße die aus ihr hinaus führt.

2. Teil: Von Lelystad nach Borkum
Touristisch vielleicht nett aber seglerisch keine Herausforderung ist die Rückfahrt durch das ijsselmeer. Dieses Mal leichte raume bis achterliche Winde bis Kornweddersand und am nächsten Tag ab Kornweddersand bis zur Ausfahrt vor Terschelling bringen die perfekten Bedingungen um drei Bft schon richtig Spaß. Vor Terschelling rechts abgebogen ist dann der Wind raumsschots und drei Bft verlangen einfach nach dem Gennaker. Dem Verlangen wird umgehend nachgekommen und das große Tuch, das sich perfekt schoten lässt macht auch bei dem langsam weiter auffrischendem Wind richtig Fahrt. Bis- na bis es nicht mehr weitergeht und bei dann 6Bft der zwangsläufige Sonnenschuss die Gutmütigkeit und die sichere Beherrschbarkeit der Tide überzeugen.
Der Gennaker wird durch die Genua abgelöst und bietet unter diesen Bedingungen noch mehr Speed, die Logge zeigt erstaunliche 12,7 – was will man mehr.
Ja, und dann ist es wie so oft: Einige Meilen vor Borkum ist es dunkel und es regnet und ein derbes Tief für den nächsten Morgen kündigt sich schon mal mit kräftigen Wind an.
Borkum ist im Übrigen immer schön, weil man sehr oft im Dunklen ankommt, immer diverse Hafenrundfahrten macht bevor ein Liegeplatz erkoren ist und wie zur Belohnung dann keiner den Code für die sanitäre Abteilung im Kopf hat.
Das ist aufgefallen:
Die Selbstwendefock wurde nicht getestet. Der Grund ist einleuchtend: Immer wenn das Segel benötigt wird, sind die Bedingungen gefühlt zu schlecht um die Genua zu bergen und das feine Teil zu riggen; es mag auch die Faulheit der Crew sein die den Vorgang behindert schade. Eigentlich schade und nicht: Wir haben sie gar nicht so wirklich gebraucht; die Tide segelt so einiges am Wind.
Man könnte die Selbstwendefock an ein eigenes Stag setzen (Segel und Stag in eins hinter die Genua gesetzt, so eine Art “Hilfskutterstag”), wie auf W660. Das beeinflusst zwar die Performance ein wenig, aber insgesamt rundet es die Besegelung ab. Und dann geht einem die durchdringende Beleuchtung der Plotter gewaltig auf die Nerven. In all den Jahren der Entwicklung der Dinger hat man es nicht geschafft die Bildschirme einfach mit klammen Fingern dimmen zu können. Drehknöpfe habe auch ihre Berechtigung.
Mit dem Rigger hätten wir uns gerne näher über seine Umsetzung bez. des laufenden Guts unterhalten. Das kann man einfacher, leichter, besser. Meckern auf hohem Niveau…
Wie segelt sie denn nun?
Sehr gut, sehr gutmütig, sehr schnell.
